Discover Saeed Asadsangabi's Profile
Als ich durch die tanzberlin-Datenbank scrolle und das Profil von Saeed Asadsangabi entdecke, ploppt eine ganz klare Erinnerung auf: Es war Februar 2020. Die Coronapandemie wollte so richtig noch niemand wahrhaben und in Hamburg fand die 7. Biennale Tanzausbildung statt. Ich war damals im ersten Studiensemester und durfte mitfahren. Neben den sämtlichen Hochschulen für Tanz aus Deutschland waren auch internationale Gäste eingeladen. Unter Anderem das Invisible Centre of Contemporary Dance Iran unter der Leitung von Mohammad Abbasi. Einer der Menschen, die in diesem Rahmen anreisten, war Saeed. Am deutlichsten im Gedächtnis geblieben ist mir die Performance der Gruppe. Es waren Schüsse zu hören, die auf die jungen Körper aufprallten. Zügig verwandelten sich die Schüsse in Musik und die pulsierenden Körper in Tanzende.
Als ich meine Erinnerung mit Saeed teile, sind wir beide auf eine Art gerührt von allem, was seitdem passiert ist. „Das war tatsächlich der Startpunkt. Von Allem. (…) Ich bin nicht zurück geflogen, sondern habe den Aufnahmeprozess für Geflüchtete begonnen. Ich bekam Hilfe von Dieter Heitkamp, Professor an der HfMDK Frankfurt. Er hat mich auch bei der Auditionvorbereitung für das dortige Tanzstudium unterstützt. Aber da ich überhaupt keine Balletterfahrung hatte und das für dieses Studium nötig ist, schlugen sie mir vor, mich am HZT zu bewerben. (…) Und so bin ich hier gelandet.“
Saeed hat schon immer getanzt. Lange Zeit kam die Sprache des Tanzes allein aus der eigenen Fantasie. „Meine Familie wollte mich unterstützen und mir einen Tanzkurs ermöglichen. Es gab keine Contemporary Kurse, also haben sie mir Hip Hop vorgeschlagen. Ich habe das abgelehnt, weil ich dachte: ‚Nein, ich kann selbst tanzen. Ich brauche es nicht zu lernen. Wenn ich es lerne, dann ist es etwas anderes.‘ Also habe ich mich geweigert, zum Tanzunterricht zu gehen. Meiner Schwester habe ich mit 13 oder 14 erzählt: ‚Ich glaube, ich habe jetzt eine Macht, weil ich tanzen kann, wie ich will. Ich glaube, ich bin eine Tanzgöttin.‘ Und sie sagte mir, es gäbe da einen Stil, der Contemporary heißt. Er existiert irgendwo außerhalb des Irans.“ Um der Neugier des Tanzes nachzugehen, zieht Saeed aus deren Heimatstadt Shiraz nach Teheran. „Da gab es mehr Möglichkeiten, unterschiedliche Workshops zu nehmen und verschiedene Stile zu lernen. Aber das war langfristig finanziell einfach nicht möglich für mich. (…) Ich hatte mich schon fast verabschiedet vom Tanz, um in einem Café oder Restaurant in Shiraz zu arbeiten, als ich die Einladung von Mohammad Abbasi bekam, nach Hamburg zu gehen.“
Neuer Wohnort, neue Umgebung, ein neu definierter Ansatz zum Tanz und zum Kunstschaffen. „Der Wandel war total verwirrend. (…) Mein Zugang zum Tanz war total persönlich. Aber durch die Auseinandersetzung mit Theorie – vor allem im Unterricht mit Ana Vujanović – konnte ich entdecken, wie diese sehr persönlichen Sachen eine Verbindung zu einem großen Gefäß politischer Positionen und Verhältnisse haben. Es hat mir eine breitere Perspektive auf meine Rolle gegeben, weil ich plötzlich in einem anderen Kontext stand. An meinem persönlichen Zugang halte ich dennoch fest. (…) Seit zwei Jahren arbeite ich mit dem Musiker Yazdan Jamshidi. Er spielt Setar, ein sehr altes iranisches Instrument. Wenn ich dazu tanze, nutze ich viele Symbole, die auf meine iranische Identität verweisen. Es ist jedoch schwer, sich in einer solchen Arbeit nicht selbst zu exotisieren. Ich liebe es, zu Setar zu tanzen. Die Frage ist aber, wer mein Publikum ist. Für wen trete ich auf? Ich repräsentiere keinen iranischen Volkstanz für einen westlichen Blick. Und ich tanze keinen zeitgenössischen Tanz für das iranische Publikum. Ich muss meine Bewegungssprache definieren und in die Zukunft schicken, damit sie in eine andere Zeit gehört: futuristischer Volkstanz.“ Wenn es durch politische Unterdrückung und Verbote für lange Zeit kaum Zugang zu und keine Dokumentation von Tanz als Kulturgut gibt, dann verschwindet er. Während einer Vorlesung von André Lepecki fragt jemand, wie man Zugang zu etwas findet, das in der Geschichte verloren gegangen ist. „Und er sagte, dass das, wonach wir suchen, vielleicht nicht in der Vergangenheit, sondern in der Zukunft liegt. Diese Antwort genügte mir, um meine Perspektive völlig zu verschieben, sodass sie nicht mehr der Vergangenheit angehört, sondern nur noch das projiziert, was ich mir für die Zukunft wünsche. Ich fühle mich so viel selbstbewusster und kraftvoller, weil ich das Vokabular kenne, das ich benutze.“
Saeed beschreibt viele Widersprüche und Ambivalenzen in der eigenen künstlerischen Arbeit. „Ich schätze dieses Wissen, das in mir steckt, aber ich entwickle mich auch ein bisschen in Richtung Anti-Folk. Es zeigt, dass es irgendwo und nirgendwo dazugehört. Es ist ein ständiges Hinterfragen. Was ist darin enthalten; Traditionen, Zugehörigkeit, Identität? Welche Binaritäten müssen durchbrochen werden? Kann man diese Traditionen im Volkstanz aufbrechen? (...) Auch wenn wir an den wachsenden Faschismus überall denken: Wie kann Volkstanz ein Werkzeug des Widerstands sein und wann wird dieses Kulturgut benutzt, um Gleichheit und faschistische Ideologie zu unterstützen? (...) Ich tendiere also eher zu Anti-Folk, weil ich damit spiele. Ich wage es, etwas zu zerreißen und in eine andere Zeitlinie zu schicken. Das ist ziemlich brutal." Ich sehe die Brutalität, fühle aber vor allem auch eine Dekonstruktion mit großer Liebe zur Materie selbst.
Published in Oktober 2025. Text by Maria Ladopoulos.